Geschenkt ist geschenkt! Oder doch nicht? Der Pflichtteilsergänzungsanspruch im Erbrecht

In Deutschland kann grundsätzlich jeder selbst bestimmen, was mit seinem Vermögen nach seinem Tod geschehen soll. Eine Einschränkung erfährt dieser Grundsatz durch das gesetzliche Pflichtteilsrecht. Ziel des Pflichtteilsrechts ist es, nahen Angehörigen einen Mindestanteil am Nachlass zu sichern. Pflichtteilsberechtigt sind die Abkömmlinge, der Ehegatte bzw. der gleichgeschlechtliche Lebenspartner sowie ggf. die Eltern des Erblassers. Der Pflichtteilsanspruch ist ein reiner Zahlungsanspruch. Er beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils und wird aus dem Vermögen des Erblassers am Todestag berechnet.

Oftmals haben sich der Erblasser und ein Pflichtteilsberechtigter so auseinandergelebt oder gar verstritten, dass der Erblasser vermeiden will, dass diese Person etwas aus seinem Nachlass bekommt. Deshalb werden bereits zu Lebzeiten erhebliche Vermögenswerte verschenkt, um unerwünschte Pflichtteilsberechtigte möglichst leer ausgehen zu lassen. Alles was vom Erblasser verschenkt wurde, schmälert die Erbmasse und verringert damit auch den gewöhnlichen Pflichtteilsanspruch. Zum Schutz des Pflichtteilsberechtigten hat der Gesetzgeber daher den Pflichtteilsergänzungsanspruch geschaffen. Der Schutz besteht darin, dass lebzeitige Schenkungen des Erblassers dem Nachlassvermögen wieder hinzugerechnet werden. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch stellt somit eine Erhöhung des gewöhnlichen Pflichtteilsanspruchs dar. Im Folgenden soll kurz auf die wesentlichen Fragestellungen in diesem Zusammenhang eingegangen werden:

Wonach richtet sich die Höhe des Pflichtteilsergänzungsanspruchs?
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch richtet sich zunächst nach dem Wert des vom Erblasser verschenkten Vermögens. Die volle Pflichtteilsergänzung kann aber nur verlangt werden, wenn der Erbfall im ersten Jahr nach der Schenkung eintritt. Für jedes weitere Jahr vor dem Erbfall reduziert sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch um 10 Prozent. D.h., eine Schenkung, die mehr als 10 Jahre vor dem Erbfall erfolgt ist, wird gar nicht mehr berücksichtigt. Diese zehnjährige Ausschlussfrist gilt jedoch nicht für Schenkungen unter Eheleuten. Bei diesen läuft die Frist erst mit Auflösung der Ehe (Scheidung oder Tod eines Ehepartners) an. Eine weitere Ausnahme gilt bei der Übertragung von Grundbesitz, wenn sich der Übergeber den Nießbrauch an diesem vorbehalten hat. Auf diese Weise können für den Pflichtteilsanspruch daher oftmals auch noch Schenkungen relevant sein, die Jahrzehnte zu-rückliegen!

Von dem so ermittelten Wert der Schenkung steht dem Pflichtteilsberechtigten dann seine entsprechende Pflichtteilsquote zu. Um den anzusetzenden Wert des verschenkten Gegenstandes gibt es in der Praxis immer wieder erheblichen Streit. Es stellt sich z.B. die Frage, ob der Wert zur Zeit der Schenkung oder der am Todestag zählt und welche Bewertungsmethode anzuwenden ist.

Wer kann den Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend machen?
In erster Linie steht der Pflichtteilsergänzungsanspruch den enterbten Pflichtteilsberechtigten zu. Aber auch wer nicht enterbt wurde hat gegebenenfalls einen Ergänzungsanspruch. In diesen Fällen handelt es sich dann genau genommen um einen Erbteilsergänzungsanspruch. Dieser kann erforderlich sein, wenn so viel verschenkt wurde, dass der Erbe mit dem vorhandenen Nachlass faktisch weniger erhält, als wenn er enterbt worden wäre. Dann hat er ggf. einen Anspruch auf den ihm zu wenig hinterlassenen Differenzbetrag.

Gegen wen richtet sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch?
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch richtet sich im Regelfall gegen den Erben bzw. gegen die Miterben. Es handelt sich dann um einen Zahlungsanspruch. In Ausnahmefällen kann der Pflichtteilsberechtigte sich aber sogar an den jeweiligen Beschenkten direkt wenden und von diesem die Herausgabe des Geschenks verlangen.

Das Recht der Pflichtteilsergänzung ist zu kompliziert und umfangreich, als dass es in einem kurzen Artikel vollständig erklärt werden könnte. Umso wichtiger ist es, sich rechtzeitig beraten zu lassen, um im Bedarfsfall richtig vorgehen zu können.

RECHTSANWALT CHRISTIAN GRAUEL
FACHANWALT FÜR ERBRECHT

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